Was ist Rollenspiel eigentlich?

Jetzt mal Butter bei die Fische: Was ist Rollenspiel eigentlich?

Jedenfalls kein „Schweinkram“, auch wenn man zugegeben bei Google oder Ebay schon recht „interessante“ Einträge finden kann, wenn man nach diesem Wort sucht. Besser sucht es sich nach „Pen&Paper“, aber das ist auch nur ein Teil des Ganzen. Improvisationstheater, aber ohne die Bühne und die Zuschauer kommt dem recht nahe.

Worum geht es konkret?

Ich schlüpfe in die Rolle einer anderen Person die eine Geschichte erlebt, die ich maßgeblich beeinflussen kann. Durch meine Entscheidungen bzw. die dieser Person. Dabei kann ich Entscheidungen treffen, die ich selber nicht unbedingt treffen würde, die diese Person aber aufgrund ihrer Erfahrungen treffen würde. Deren Erfahrungen können sich von meinen ganz fundamental unterscheiden – oder auch sehr ähnlich sein.

Diese andere Person erlaubt mir, andere Wege einzuschlagen, andere Entscheidungen zu treffen und zu sehen was dabei herauskommt. Ohne dass es Konsequenzen für mich hätte, es betrifft alles rein die Person und deren Umgebung. Dazu ist das Ganze auch noch ein kooperatives Spiel, meistens spielt man mit 3-5 Spieler:Innen mit ihren jeweiligen Charakteren und der Spielleitung, die die Geschichte kennt und die gesamte Umgebung beschreibt und spielt, also alles, was kein Charakter ist.

Was ist Rollenspiel nicht?

  • Nur für Kinder. Nein! Während Kinder meist einen leichteren Zugang dazu haben, dürfen auch Erwachsene Spaß daran haben ihre Fantasie zu nutzen. Wir „Großen“ lesen doch auch Bücher oder schauen Filme, träumen uns vielleicht in die Handlung hinein. Rollenspiel geht da „nur“ einen Schritt weiter, indem man selber zum Protagonisten wird und die Handlung mitbestimmt. Und je nach Setting gibt es durchaus Bereiche wo ich mich rein unter Erwachsenen besser aufgehoben fühle.
  • Rein für Realitätsverweigerer. Nein! Während ich es genieße in andere Welten und Problematiken abzutauchen, weiß ich genau, dass es sich dabei nicht um die Realität handelt. Und diese Trennung zwischen Spiel und Wirklichkeit ist wichtig und richtig.
  • Nur ein Spiel. Nein! Ja, es ist auch ein Spiel. Aber im Spiel lernen wir, also streiche bitte das „nur“. Lernen darf Spaß machen. Dann lernt es sich leicht. Und oftmal auch ohne dass man es sofort merkt.
  • Kann ich nicht. Während es sein kann, dass es Dir nicht gefällt (das ist ok), glaube ich nicht dass man es nicht kann. Vielleicht braucht es einfach andere Anleitung als bisher oder andere Szenen oder Charaktere.

Das Interessante am Rollenspiel ist auch, dass ich sehr tief eintauchen kann und die Geschichte sehr intensiv erleben kann, fast als wäre ich selber mittendrin. Je mehr es mich mitreißt, desto intensiver ist die Erfahrung. Und desto mehr nehme ich selber auch für mich daraus mit.

Ein Beispiel?

Zwei Ritter sind befreundet, haben schon das ein oder andere miteinander erlebt. Jetzt haben sie gerade einen Dieb aufgegriffen, der an einem Marktstand Äpfel geklaut hat. Der eine Ritter meint, der Dieb gehöre sofort dem Büttel übergeben für seine Missetat, der andere argumentiert, der Dieb habe aus Hunger gehandelt und brauche keine Strafe.

Ritter Rollenspiel

Jetzt stelle Dir vor, wie Du als einer dieser Ritter Argumente für Deine Sicht vorbringst (Du darfst Dir aussuchen welche Dir lieber ist), der andere kontert aber mit ebenso „guten“ Argumenten. Ein Streit. Der beliebig ausgehen kann. Die Ritter könnten sich sogar so weit in die Wolle bekommen, dass sie sich mit ihren Schwertern angehen. Oder vorher die Kurve bekommen und sich einigen, schließlich sind sie ja befreundet.

Wie gehe ich damit um?

Ich kann diesen Streit einfach so spielen, von außen, als wäre ich eine Art Puppenspieler.

Oder ich tauche in meinen Charakter ein, der plötzlich feststellt, dass sein Freund eine ganz andere Einstellung zu einem Wert hat, der mir wichtig ist.

Siehst Du da einen Unterschied?

Für mich macht es einen großen Unterschied darin, wie ich an meine Argumentation herangehe, auch wenn die Argumente per se dieselben sein werden. Ich versuche sie dann aber nicht nur vorzubringen, sondern appelliere zugleich an meinen Freund, mich zu verstehen. Und ihn ebenso zu verstehen.

Anders als „in real“ hat der Ausgang des Streits aber keinen echten Einfluss auf meine Mitspieler.

Am Ende mischt da natürlich noch die Spielleitung mit. Denn was mit dem Dieb passiert und wie er sich verhält, kann auch einen Einfluss auf die Charaktere haben. Vielleicht bietet er den Rittern seine Hilfe an falls es keine Strafe gab. Vielleicht entwickelt er eine große Abneigung gegen einen der Ritter (oder beide), wenn er bestraft wurde. Vielleicht auch umgekehrt. Da kann für den ein oder anderen Ritter schon ein Aha-Erlebnis dabei sein.

Meine Personen in den Rollenspielwelten haben üblicherweise Gründe für ihre Handlungen. Je länger man sie kennt, desto deutlicher wird das.

Als Spielleitung spiele ich das, was in einem Buch die Gestalten sind, die neben den Protagonisten existieren. Die, die nur mal einen kurzen Auftritt haben und die, die öfter auftauchen. Man kann diese also wie im realen Leben auch kennenlernen, entweder flüchtig oder besser. Freundschaften schließen oder Feindschaften beginnen.

Wenn Du Rollenspiel im Alltag mal ausprobieren willst, kannst Du Dir meine Mailserie ansehen. Einfach zum kostenlos ausprobieren.

Rollenspiel und eigene Konflikte

Ich gebe Dir hier einen Einblick wie Rollenspiel eigene Konflikte ändern kann. Tatsächlich ohne dass das eigentliche Thema selber dabei auch nur berührt wird. Es geht hier um meine ganz eigenen Erfahrungen damit.

Rollenspiel

Picturecredit: paulzhuk @depositphotos.com


Ich bin seit fast 26 Jahren Rollenspielerin, davon auch die meiste Zeit Spielleiterin. D.h. der Mensch, der die Geschichte erzählt auf die die Mitspieler*innen, bzw deren Charaktere, reagieren. Ich habe schon eine Menge Geschichten erzählt und als Spielerin erlebt, ebenso eine große Menge unterschiedlicher Charaktere gespielt.

Wie es begann

Der Beginn war eher unspektakulär. Frühling 2002. Eine neue Geschichte sollte beginnen und jede*r sollte sich dafür einen Charakter aussuchen. Normalerweise suchte ich mir Charaktere, die eher im Hintergrund agierten, den anderen halfen aber selten wirklich im Rampenlicht standen. Das ging dieses Mal nicht, meine Wunschrolle war bereits vergeben. "Dann spiele ich eine Amazone", war die Aussage, die alles ins Rollen brachte. Eine Kämpferin in der Welt des Schwarzen Auges, mit sehr festen Wertvorstellungen, in der Lage sich nicht nur mit der Waffe durchzusetzen. So absolut nicht ich, kein bisschen.

Dieser Charakter war so ziemlich der schwierigste, den ich jemals gespielt habe. Weil ich konstant aus meiner Komfortzone heraustreten durfte. Entscheidungen treffen musste anstatt mich hinten anzustellen. Forderungen stellen musste. Zum Teil waren die Entscheidungen nicht unbedingt "gut", für den Charakter in der Situation aber das Beste, was sie tun konnte. Und: es war nicht schlimm! Nie! Auch und gerade aus solchen "Fehlern" entstanden die intensivsten und teilweise schönsten Erinnerungen an diese Geschichte. Auch dank der Mitspieler, die auch (für die Spieler) offensichtliche Fehlentscheidungen unterstützten und eben mitspielten.

Und obwohl es nur ein Charakter war, den ich dort gespielt habe, in einer Welt, die mit unserer nichts zu tun hat, hatte das Auswirkungen auf mich, den Spieler. Ich wurde mutiger mit jedem Schritt aus der Komfortzone, den ich mit dem Charakter machen durfte. Der sichere Rahmen, den der Spielleiter und die Mitspieler dabei gesetzt haben, hatte auch einen großen Anteil daran. Wir haben immer mit- und nie gegeneinander gespielt, das Ziel war gemeinsame Freude zu haben.

Und wie es weitergeht

Was das mit Dir zu tun hat, fragst Du Dich vielleicht? Ich weiß durch eigene Erfahrungen, wie wichtig ein sicherer Rahmen ist und wie hilfreich, wenn das Heraustreten aus der eigenen Komfortzone nicht allein geschieht. Durch diese Erfahrungen kann ich sichere Räume schaffen und weiß wie man sie hält. Dazu kommen ein sehr treffsicheres Gespür für Stimmungen bei meinem Gegenüber, für Zwischentöne und ein kreativer Funke, der manchmal ungewöhnliche Fragen stellt. 

Zum Ausprobieren für Dich habe ich extra eine Mailserie entwickelt, wo Du für Dich selber verschiedene Rollen ausprobieren kannst. Ganz ohne weiteres Hintergrundwissen.


Problemlösung (im Rollenspiel)

Der Kern eines (verbalen) Konfliktes sind üblicherweise unterschiedliche Vorstellungen, wie etwas zu sein hätte. In der Situation selber fällt es uns schwer, auf den anderen einzugehen. Außer man ist vielleicht schon sehr geübt in der Gewaltfreien Kommunikation oder ruht so sehr in sich, dass man einfach nicht „eskaliert“. Alle anderen kennen das sicher: ein Wort gibt das andere und am Ende sind beide beleidigt.

Nach dem Konflikt bietet das Rollenspiel eine gute Möglichkeit. Man kann in sicherem Rahmen den Konflikt mit vertauschten Rollen noch einmal durchleben und lernt so die Seite des „anderen“ kennen. Augenmerk ist dabei nicht auf den reinen Worten, sondern besonders auf den Gefühlen der Teilnehmer. Also in der Art „Wie fühlt es sich an wenn er/sie das zu Dir sagt?“ Damit erzeuge ich ein Grundverständnis für den anderen und seine Gefühle. Und diese Basis dient dann dazu, den Konflikt ursächlich zu lösen.

Eine Weiterführung ist das Ganze als Elternteil aus der Sicht des Kindes zu erleben. Also bewusst in die Rolle des Kindes zu schlüpfen, das sich gerade „daneben benommen“ hat und dafür eine Reaktion des Elternteils erlebte, auf das dieses vielleicht nicht so stolz ist.

Friedvolle Elternschaft und Rollenspiel?

Ein Gedanke, der seit kurzem immer mal wieder in meinem Kopf kreist, ist: kann man bzw. ich friedvolle Elternschaft und Rollenspiel miteinander verbinden?

Auf den ersten Blick hat es wenig miteinander gemein: friedvolle Elternschaft ist ein Ziel, eine Art kleine Menschen zu sehen, eine Einstellung. Rollenspiel ist ein Hobby, bei dem es darum geht jemanden darzustellen, der man nicht ist.

Moment mal… der man nicht ist? Ist da vielleicht doch ein Zusammenhang? Wer von uns kann schon direkt von sich behaupten “jop, ich bin ein friedvolles Elternteil, ich hab das voll drauf”? Wäre da nicht ein Punkt, sich an seltsame Themen heranzutasten und “was wäre wenn” zu spielen? Mit dem tollen Vorteil, dass man das in einer sicheren Umgebung tut, denn man kann so viel Distanz zu der handelnden Person (dem Alter Ego oder Charakter) behalten wie man möchte und man experimentiert nicht mit den (eigenen) Kindern. Auf der anderen Seite kann man sich aber auch recht tief in Situationen reinfühlen. Beim Spielleiter ist da natürlich Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen gefragt, aber gerade das finde ich unglaublich spannend.